150-JÄHRIGES JUBILÄUM
DER GRUOL-BLESSING-ORGEL
IN DER BLASIUSKIRCHE KLEINENGSTINGEN
SONNTAG, 7. OKTOBER 2012
10:00 UHR FESTGOTTESDIENST
mit Bezirkskantor Kirchenmusikdirektor Stefan Lust (Münsingen)
und Pfarrer Roland Bader
19:00 UHR ORGELKONZERT
Gabriel Moll und Markus Neumann spielen Werke von
Bach, Mendelssohn, Brahms, Schütz und Moll
Eintritt frei – Anschließend Orgelführung
Konzertprogramm
Johann Sebastian Bach (1685-1750)
Präludium c-dur (BWV 545)
Johann Sebastian Bach (1685-1750)
Passacaglia & Fuge c-moll (BWV 582)
Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1947)
6. Sonate für Orgel d-moll (op. 65)
Choral. Andante sostenuto. (ohne Bezeichnung). (ohne Bezeichnung). Allegro molto –
Fuga Sostenuto e legato – Finale Andante
Johannes Brahms (1833-1897)
Präludium & Fuge a-moll (WoO 9)
Johannes Brahms (1833-1897)
Fuge as-moll (1. Fassung von 1856, WoO 8 )
Johannes Brahms (1833-1897)
O Welt, ich muss dich lassen
(aus “Elf Choralvorspiele” Opus post. 122)
Michael Schütz (*1964)
Vier Stücke aus “20 Pop-Stücke für Orgel”:
The Beginning – Impressions – Dance with me – Prelude No.1
Gabriel Moll (*1989)
Improvisation über “Der Mond ist aufgegangen”
***
Gabriel Moll und Markus Neumann, Orgel
Erwin Schneider, Moderation
Unsere Gruol-Blessing-Kegelladenorgel
von 1862 wird dieses Jahr am 2. August 150 Jahre alt. Die Orgelwird die „Königin der Instrumente“ genannt. Sie gehört zu den wertvollsten Einrichtungen in einem Kirchenraum. Im Altertum war die Orgel ein kleines tragbares Instrument und diente der weltlichen Musik. Für die römische sowie die orthodoxe Kirche, die nur Sänger duldete, war der Instrumentalmusik zunächst abgeneigt. So währte es lange, bis die Orgel in den abendländischen Kirchen ihre Aufgabe fand. Aber dann ist sie in wenigen Jahrhunderten zum gewaltigsten der Instrumente gewachsen und wird daher von allen „Königin“ genannt.
Die Orgel gilt mit ihrer kunstvollen Mechanik, mit der Vielzahl der Pfeifen als Wunderwerk. In Kennerkreisen ehrt man ihren Erbauer, preist ihren Spieler, der meistens den Zuhöreraugen verborgen ist. Das Volk sagt: die Orgel spielt. Das klingt geradeso wie: die Sonne scheint, es stürmt, es regnet. So wird der Klang der Orgel mit den Geheimnissen der Natur, sowie den göttlichen Geheimnissen verglichen.
Der Grundgedanke der Orgel
Die Orgel besteht grob gesagt aus drei Teilen: dem Gebläse (Bälge, Windkanäle, Windlade), den Pfeifen und dem Registrierwerk, das von Spieltisch betätigt wird. Der Spieltisch enthält die Tasten für die Hände (Manuale) und für die Füße (Pedale).
Jeder weiß, dass die Klänge der Orgel nicht gesungen und nicht gegeigt, sondern im Sinne des Wortes „gepfiffen“ werden. Wird in die Pfeifen der Orgel Luft geblasen, so ertönen sie. Die Klänge dieser Pfeifen sind verschieden: hoch, tief, laut, leise, hell, dunkel, je nachdem die Pfeifen groß oder klein, dick oder dünn sind. Die Arbeit, Luft in die Pfeifen zu blasen, übernehmen die Blasebälge. Damit beim Betätigen der Bälge nicht sofort sämtliche Pfeifen ertönen, ist der Zugang der Luft zu den Pfeifen durch ein Ventil abgesperrt. Diese Ventile stehen mit Tasten und den Pedalen in Verbindung. Drückt der Spieler die Tasten bzw. die Pedale nieder, so öffnen sich die Ventile und die betreffenden Pfeifen erklingen.
Die Vorgängerorgel
(Die meisten der nachfolgenden Berichte stammen aus der Feder von Erwin Schneider. Sie waren in Zeitungen, in den „Förderverein Evang. Blasiuskirche“- Infoberichten usw. zu lesen und werden hier komplett bzw. Auszugsweise wiedergegeben).
Bevor wir jedoch über unsere Jubiläumsorgel sprechen, wollen wir uns zuerst mal kurz informieren, was mit der alten Vorgängerorgel passierte.
Das Archiv im alten Rathaus gibt darüber Auskunft, dort steht unter dem 25. Juli 1862 folgendes zum Thema Orgelverkauf:
Wegen Anschaffung einer größeren neuen Orgel wird die alte, nach vorheriger Bekanntmachung im Staatsanzeiger und Oberamtsblatt, heute um 2 Uhr mittags an den öffentlich verkauft, der am meisten bietet. Zu den Bedingungen gehöre die Auflage, die gesamte Orgel mit neun Registern und Zubehör zu kaufen – und bis zum folgenden Montag auch komplett mitzunehmen. Denn da sollten – genau geplant – die Teile der neuen Orgel in die Kirche transportiert werden. Für 36 Gulden und 30 Kreuzer erhielt die Gemeinde Aichstetten im Oberamt Urach den Zuschlag.
Die neue Orgel kommt
Bekannt ist, dass unsere jetzige Kegelladen-Orgel bei den Orgelbauern Gruol und Blessing in Bissingen/Teck bestellt wurde. Am 21. Juli wurde der Transport von dort festgelegt: Drei zweispännige Fuhrwerke sollen die Teile nach Kleinengstingen bringen. Aufgeteilt in einen „Wagen mit Tragegeschirr“ und zwei „mit großen Leitern“. Pflicht für jeden Fuhrmann war, 1 Dutzend Stricke, Spannseile und genügend Tücher zum Abdecken – bei eventuellem Regenwetter – mitzunehmen. Für das fachgerechte Laden waren die Orgelbauer verantwortlich.
Das erste dafür vorgesehene Fuhrwerk gehörte dem Bauer Ludwig Glück. Gemeinderat Jacob Schenk übernahm das zweite und dritte. Im Vertrag zwischen Gemeinderat, Bürgerausschuss und den Orgelbauern steht, dass das neue Werk 1489 Gulden kostet und 10 Jahre Garantie besteht.
Siegfried Alt hat nicht nur die obigen Informationen gefunden, sondern auch eine Rechnung anlässlich des Festes zur Orgeleinweihung am 2. und 3. August 1862. Diese wurde von Kirchenmusikdirektor Seitz und dem Liederkranz aus Reutlingen gestaltet. Hirschwirt Glück stellte dabei zu ihrer Verköstigung und Übernachtung folgende Rechnung zusammen, die unter anderem diese Posten enthielt: Vormittags zum Brot 1 Schoppen Wein, zum Mittagessen 1 Schoppen und zum Abendessen 2 Schoppen pro Gast (1 Schoppen ist ein knapper halber Liter). Am ersten Tag gab es noch Rettich, am zweiten „Immenthaler Käs“.
Technische Details
Hier einige technischen Daten von unserer Orgel und die Angaben über deren Orgelbauer:
Unsere Orgel hat die Werknummer 80 und ist – mit Ausnahme der Prospektpfeifen – wahrscheinlich die einzige der beiden Orgelbauer, welche original erhalten ist. Im Unterschied zum sonst üblichen System der Schleifladenorgel gehört das romantische Instrument zu den Kegelladenorgeln mit mechanischer Traktur. Der Luftzufluss wird hier über kegelförmige Ventile gesteuert. Die Orgel hat 2 Manuale von C – f3, Pedal und 13 Register. Sie steht unter Denkmalschutz.
Die Halbsäulen an der Frontseite des Gehäuses (Biedermeier) greifen in der Musterung die Marmorierung der Pfeiler auf gegenüber liegenden Emporenseite auf.
Die Orgelbauer: Gottlieb Wilhelm Blessing wurde 1832 in Esslingen geboren. Wann er bei Victor Gruol in Bissingen (Teck) die Lehre als Orgelbauer antrat, ist ungeklärt. 1853-54 lernte er bei Weigle in Stuttgart den Bau der Kegellade kennen. Von 1860-63 baute er mit Gruol zusammen Kegelladenorgeln.
Auszüge vom Einweihungsbericht
Vom 24.02.2004:
Die Königin entfaltet ihren Zauber
Die Renovierte Orgel verfügt mit romantischer Disposition über enormes Klangpotenzial.
Sie braust, säuselt, wogt und stürmt.
Die Orgel der Kleinengstinger Blasiuskirche ist ein Qualitätsinstrument. Nach ihrer Renovierung erstrahlt die Königin der Instrumente sowohl optisch als auch akustisch in
neuem Glanz.
Seit 140 Jahren (nun sind es ja bereits 150 Jahre) verfügt die Blasiuskirche über ein klingendes Kleinod, das zu den Raritäten in der Region gehört. 1860 entschloss sich Orgelbauer Johann Victor Gruol, der im Württembergischen rund 30 Orgeln geschaffen hat, zur Zusammenarbeit mit Wilhelm Blessing. Die meisterliche Fusion der namhaften Instrumentenbauer währte nur drei Jahre. Acht Orgeln gingen aus der Liasion hervor, eine davon steht heute noch in Kleinengstingen – und zwar so, wie sie Gruol und Blessing vor 140 (bzw. 150) Jahren erbaut haben. Das Instrument in der Blasiuskirche blieb nämlich von einem wenig glücklichen Trend der 50er und 60er Jahre verschont.
„Damals wurde der romantische Orgelklang als unschön empfunden, viele Instrumente wurden umgebaut“, erläuterte der Münsinger Kantor Stefan Lust in seinem Grußwort. Die Kleinengstinger Orgel teilte das Schicksal vieler anderer Instrumente nicht – und hat ihre typisch romantische Disposition erhalten.
Kurzum: Die Kleinengstinger Orgel ist mehr als nur ein romantisches überladenes Prunkinstrument.
Hier noch ein Kurzkommentar von Samuel Kummer
Organist der Frauenkirche in Dresden:
Bei der Orgel in Kleinengstingen fällt sofort die ausgesprochene Kantabilität des Gesamtklanges auf. Werke von Bach und Mendelssohn lassen sich schön darauf spielen.
Text & Fotos: Gerhard Neumann